Inklusion passt gut zur Ausbildung
Im nachhaltigen Ratinger Café „Brothimmel und Kaffeesünde" beschäftigt Inhaberin Bettina Lindemann mit Lara aus Hösel eine entwicklungsverzögerte Angestellte.
VON STEFAN MÜLDERS
RATINGEN Lara hat immer ein Lächeln auf den Lippen. Kunden im Café „Brothimmel und Kaffeesünde" in der Bechemer Straße in Ratingen begrüßt sie gerne mal mit einem freundlichen „Was kann ich für Sie tun?". Das hat sie sich bei ihrer Chefin abgeguckt. Was Lara einmal gelernt hat, vergisst sie nicht. Und ihre „Einschränkung" bemerkt man auch erst beim zweiten Blick.
Sauerstoffmangel während der Geburt verhinderte, dass Lara sich so entwickelte wie andere Kinder. Ihre Eltern wollten sie bewusst nicht einfach in eine Behindertenwerkstatt „abschieben", sondern am „normalen" Leben teilhalben lassen. Auf der Suche nach möglichen Arbeitgebern trafen sie unter anderem auf Bettina Lindemann, die als Betreiberin des Cafés für nachhaltige Backwaren und Getränke dem jungen Mädchen eine Chance geben wollte. „Ich war sehr gerne bereit, Lara anzulernen", sagt die Geschäftsfrau, die mit ihrem Ladenlokal seit zwei Jahren die Ratingen Innenstadt bereichert. „Dabei gibt Lara mir auch immer sehr viel zurück, ich lerne dank ihr noch viel über mich selbst." Denn Lara „kopiert" immer wieder das Verhalten ihrer Mitmenschen. Und so fragt auch Bettina Lindemann sich oftmals: „Wo hat sie das jetzt wieder her?" Sie ertappt sich dann immer wieder bei eigenem Fehlverhalten – wobei dieser Begriff vielleicht auch etwas zu weit geht, denn es geht um die Kleinigkeiten des Alltags. Wie zum Beispiel, die Schranktüre in Kniehöhe auf den letzten Zentimetern noch mit dem Fuß zuzuschubsen statt sich zu bücken.
Der Weg zur "normalen" Ausbildung war nicht einfach
Lara lernt Stück für Stück alle Tätigkeiten in dem kleinen Café. Von der Vorbereitung der Besteckgebinde und reinigen der Tische über Brötchen schneiden, einkaufen bis hin zur Bedienung der Kunden. Letzteres noch in eingeschränktem und eng begleitetem Maße. Doch der Weg dahin war schwer, nicht unbedingt für Lara, dafür umso mehr für ihre Eltern. „Schule, Behörden und teilweise auch Ärzte haben uns mehr als einen Stein in den Weg gelegt", erklärt ihr Vater Hassan Emami. „Lara passte in kein Formular mit Standard-Kreuzchen hinein. Aber wir wollten, dass sie außerhalb der Behindertenwerkstätten arbeiten kann – und haben dafür lange gekämpft." Die Emamis zogen von Laden zu Laden, um einen Arbeitsplatz für ihre Tochter zu finden. „Dabei haben wir nie schlechte Erfahrungen gemacht, die Menschen waren aufgeschlossen und hätten Lara eine Chance gegeben. Aber dann stellten sich die Behörden quer." Unter anderem das Arbeitsamt bereitete der Familie – und dann auch Bettina Lindemann – immer wieder Probleme. Auf dem ersten Arbeitsmarkt müsste Lara „normal" angestellt werden, andere Möglichkeiten gäbe es nicht. „Ich habe so viele Telefonate geführt und die Situation schien immer wieder aussichtslos", sagt Lindemann. „Ich wollte ja noch nicht mal Zuschüsse haben, aber in bezahlte Anstellung konnte ich Lara noch nicht nehmen. Sie bedarf noch einer engen Begleitung und das erfordert hohen zeitlichen Aufwand." Selbst bei Lohnverzicht hätte Lindemann die Abgaben an den Staat leisten sollen. Erst der Kontakt zur Koordinierungs-, Kontakt- und Beratungsstelle (KoKoBe) des Kreises brachte die Lösung: Brothimmel und Kaffeesünde ist jetzt Außenstelle der Behindertenwerkstätten, einmal die Woche geht Lara zum theoretischen Unterricht in die Werkstatt. „Jeder redet in Deutschland von Inklusion, und wenn man dann außerhalb des schulischen Bereichs etwas dafür tun will, sind extreme Hürden zu überwinden, die nur durch entsprechendes persönliches Engagement zu schaffen sind", sagt Lindemann. „Da muss sich in den Behörden etwas verändern. Dass ein Arbeitsamt die bei uns jetzt praktizierte Lösung nicht kennt, ist sehr traurig. Aber Eltern von Betroffenen sollen auch wissen, dass es Möglichkeiten abseits der Standard-Verfahren gibt."
Lara bekam von alledem nichts mit. Sie freut sich einfach nur, arbeiten zu dürfen und macht dabei enorme Fortschritte. „Wir haben zuhause eine völlig veränderte Tochter", sagt Hassan Emami. „Sie hat Freude am Leben und trifft, anders als vorher, eigene Entscheidungen. Sie wird erwachsen."
Beratung für Menschen mit Behinderung
Die Koordinierungs-, Kontakt- und Beratungsstelle (KoKoBe) im Kreis Mettmann bietet kostenlose Beratung und Hilfe für Menschen mit geistiger und körperlicher Behinderung, deren Angehörigen, Bezugspersonen, gesetzlichen Betreuern, sowie Fachkräften aus Diensten und Einrichtungen für Menschen mit Behinderung an. Die KoKoBe ist ein Angebot des Landschaftsverbands Rheinland (LVR).
KoKoBe@Kreis-Mettmann.de
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