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Kunstvolle Begegnung Diesen Text vorlesen lassen

August 2015

Es gab sie nicht, die Erwartung an diesen Tag. Es war eine Mischung aus Spannung und Unbehagen, aus ‚ich muss dahin weil ich zugesagt habe‘ und ‚eigentlich will ich da gar nicht sein‘. Da half es auch nicht, mich an Jens Corssen zu erinnern: Wo du bist, da willst du sein – alles andere war dir bisher zu teuer.

„Teuer“ hieß in diesem Falle das Honorar des Verlags, aber auch die Beziehung zu einem Menschen, die sich noch gar nicht so richtig aufgebaut hatte bisher. Eine Begegnung allein hatte nicht ausgereicht, um „nein“ zu sagen. Im Gegenteil, sie machte Lust auf mehr, noch nicht zu einem klaren „ja“, aber doch auf „lass mal sehen, was da noch hinter steckt“.

Ein Künstler bin ich selbst. Nicht nur, weil ich das soziale System der gleichnamigen Kasse nutze, sondern weil ich meinen tagtäglich Umgang mit Text tatsächlich – meistens zumindest – als Kunst verstehe. Aber einen Zugang zur Bildkunst, von der Fotografie mal abgesehen, hatte ich nie gefunden. Rückblickend begründe ich das mit den Erfahrungen in der Schule. Berühmte Bilder in der Form zu analysieren, dass die „korrekte“ Aussage des Künstlers – zumindest ist diese Herangehensweise meine damalige Wahrnehmung und heutige Erinnerung – herausgelesen werden sollte, widersprach schlichtweg der Lebensphilosophie eines Freigeistes wie mir. Der war ich tief in mir drin schon immer, auch wenn ich ihn damals noch nicht in mir selbst erkennen konnte. Vielleicht war auch schon damals die eigentliche Intention meiner Kunstlehrer, die Erkenntnis zu gewinnen, Bilder frei zu interpretieren – aber entweder ist ihr pädagogischer Ansatz bei mir fehlgeschlagen oder sie wussten selbst nicht, dass sie genau das hätten vermitteln sollen. Jedenfalls war diese Erfahrung, gepaart mit meiner doch recht klar darstellbaren Talentfreiheit auf die rein handwerklichen Kunstfertigkeiten bezogen, vermutlich die Ursache dafür, dass mich Ausstellungen und Galerien auch heute noch eher langweilen als zu irgendetwas inspirieren. Einzige Ausnahme: Die Werke meiner Tochter.

Jetzt also erwartete mich ein Künstler jenseits der 60, der „erst“ vor 20 Jahren so richtig von der Muse geküsst – oder damals eher getreten – wurde. Denn es war wohl eine eher schwere Lebensphase mit komplizierter Trennungsgeschichte dahinter, aus der die Malerei ihn befreite. So zumindest beschreibt er selbst seinen Einstieg in die Lebensphase künstlerischen Schaffens: Als Befreiung. Ich konnte diese Befreiung beim Betreten der Galerie nicht empfinden. Bilder! Und dann auch noch gemalt… Ja, sowohl der Künstler als auch der „Hausmeister für heute“, wie der andere Herr sich vorstellte, empfingen mich herzlich, freundlich und offen. Aber mindestens einer der beiden wusste, dass sie hier einen Menschen vor sich hatten, der „zu Kunst überhaupt keinen Zugang hat“. Ich selbst hatte mich ja auch im Vorgespräch als nicht denjenigen Journalisten gesehen, der ausgerechnet für diesen Text geeignet war. Der Künstler sah das ganz anders. „Darum sind gerade Sie richtig“, hatte er gesagt. Mal sehen. Ohne großes Vorgeplänkel führte er mich in den ersten Nebenraum. Ich erkannte sofort die „Handschrift“, die ich schon an den Wänden seiner Firma gesehen hatte. Mehr nicht. Ich suchte nach Orientierung, er gab sie mir an einem seiner berühmtesten Werke, wenn man das gemessen an van Goghs Sonnenblumen, Monets Seerosen oder da Vincis Mona Lisa überhaupt so nennen durfte: Der Krieg als symbolisiertes Thema, die weltweiten Rüstungsausgaben als Maßstab für einen zunächst utopisch klingenden Preis, den ohnehin niemand für so eine Wanddekoration bezahlen würde. Aber ich begann langsam, zu verstehen. Es war schwer, in den Bildern etwas zu erkennen; auch die Installation mit scheinbar gegensätzlichen Wandgemälden und in der Mitte dazwischen drapierten rot lackierten Schokohasen als Terracotta-Armee forderten meinen Hirnwindungen – erfolglos – Einiges ab. Immerhin: Ich beschäftigte mich. Noch mehr gezwungen als wirklich freiwillig, aber ich wollte ja hinterher zu diesem Thema noch irgendwelche Buchstaben sinnvoll hintereinander reihen. In Verbindung mit den Titeln konnte ich in einzelnen der Werke an den Wänden dann doch so etwas wie Motive erkennen – und Motivationen. Andere wirkten eher verwirrend, sowohl singulär betrachtet als auch noch stärker in der Kombination mit den ihnen zugedachten Titeln. Ich war noch nicht angekommen in der Welt dieser Kunst. Aber ich näherte mich.

Der Weg führte weiter in den Hinterhof. Jetzt merkte ich, dass ich an diesen Tag doch eine Erwartung hatte. Denn ich stellte fest, dass ich mir so ähnlich tatsächlich vorgestellt hatte, wie ein Künstler arbeitet. In einer Art Verschlag, den er als Atelier bezeichnet, mit einem spannenden Slogan, Titel, Lebensmotto. In diesem Fall waren die Strukturen der ehemaligen Garage noch erkennbar, ihre Nutzung hatte sich selbstredend gewandelt. Überall bunte Farben, fertige und halbfertige Gemälde vielfältigster Größen reihten sich hinter-, über- und nebeneinander, wirkten in der Masse geradezu erschlagend. Über den Dialog mit dem Hausherren und Schöpfer dieser Werke ergaben sich auf einmal mehrere Zugänge für mich. In einige Bilder konnte ich sofort etwas hineininterpretieren, ganz ohne mehr oder weniger hilfreiche Titel, andere erschlossen sich mir nicht. Aber mir wurde klar: Hier erzählt jemand nicht nur sein Leben, sondern auch meines und das hunderter, tausender, ja gar millionen anderer Menschen. Immer anders, höchst individuell und immer mit der ganz persönlichen Note. Nicht der des Künstlers, sondern der eigenen. Ich hatte hier nicht den Picasso, Matisse oder Rembrandt vor mir, die Unerreichbaren; sondern einen leibhaftigen, lebendigen Künstler, der mir seine Intention hätte mitteilen können – aber es nicht tat. Er ließ mich Freigeist sein in seinen Werken. Warum war der nicht damals mein Kunstlehrer? …… Weil er es auch nicht besser hätte machen können als „die anderen“. Damals.

Ja, ich war plötzlich da, wo ich sein wollte, jetzt, hier. Und teuer wäre es gewesen, nicht hier zu sein. Sie waren beeindruckend, die Begegnungen dieses Vormittags. Die mit dem Künstler und die mit den Bildern. Sie waren Offenbarungen, jede für sich. Offenbarungen, deren Wirkung auf mein Leben jetzt noch gar nicht einschätzbar ist, die ich auch gar nicht einschätzen will oder gar muss. Vielleicht machen sie langfristig auch gar nichts mit mir. Das weiß ich (noch) nicht. Aber sie haben mich inspiriert, meine Kunst in diesen Zeilen auszudrücken. Danke dafür, Leben.



Autor: Muelders -- 23.08.2015; 00:05:23 Uhr

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