Solingen – Eine Stadtlandschaft mit industrieller Prägung
Weit über ihre Grenzen hinaus ist die Stadt Solingen als „Klingenstadt“ bekannt. Den Namen trägt sie, weil sich Solinger Handwerker und Kaufleute bereits seit dem 13. Jahrhundert auf Produktion und Vertrieb von Schwerterklingen und Messern spezialisiert hatten. Dieser Industriezweig hat sich in Form der Besteckherstellung bis heute gehalten, auch wenn er prozentual gesehen keine so große Rolle mehr spielt wie noch vor einigen Jahren. Auf der Grundlage der Klingenproduktion hat sich eine generelle Kompetenz in der Metallbearbeitung entwickelt, vom Maschinenbau bis zur Galvanik.
Gewachsen ist Solingen aus einer dörflich-kleinstädtischen Struktur; aus sechs Gemeinden, die Jahrhunderte lang selbstständig waren: Solingen, Wald, Gräfrath, Ohligs, Höhscheid und später Burg an der Wupper. Die industrielle Revolution ließ die Bevölkerungszahlen dieser Gemeinden explodieren, die sich dynamisch wachsend zu einer gemeinsamen Stadtlandschaft verdichteten. Die Vereinigung zur „Stadt Solingen“ aufgrund eines preußischen Gesetzes trat am 1. August 1929 in Kraft. Burg mit dem Stammschloss der Grafen und Herzöge von Berg kam erst 1976 nach einer weiteren Gebietsreform hinzu. Der Städtename Solingen hat sich seit dem Mittelalter als Qualitätszeichen international etabliert und ist heute als Markenzeichen für Qualitätsmesser und solide Scheren rechtlich geschützt.
Trotz der industriellen Prägung blieb die eher dörfliche Struktur in den Stadtteilen teilweise erhalten. In Solingen spricht man von „Hofschaften“. Das unmittelbare Nebeneinander von Stadt, Land und Gewerbe macht Solingen heute zum attraktiven Wohnstandort im Ballungsraum zwischen Bergischem Land, Ruhrgebiet und der Rheinschiene. Das stellt Stadtplaner und Wirtschaft aber auch vor Herausforderungen: Zuzügler schätzen die gute Verkehrsanbindung an die Metropolen, behalten ihre Arbeitsplätze aber im Umland und „pendeln“. Das bringt Solinger Unternehmen keine Arbeitskräfte, Und aus den Stadtteilen heraus findet „Einkaufstourismus“ eher in die umliegenden Städte statt als in die eigene Innenstadt.
Eine weitere Besonderheit der gesamten Region ist die Topografie. Sie birgt Chancen wie Risiken. Das Bergische Land bietet zwar attraktive Wohnstandorte mit bisweilen beeindruckenden Ausblicken und viel Grün in der näheren Umgebung, andererseits ist es schwer, den Bedarf wachsender Unternehmen an zusätzlichen Gewerbeflächen zu erfüllen. Wurden früher in einem solchen Fall Produkti¬onsstätten baulich „übereinander gestapelt“, folgen heutige Konzepte anderen Grundsätzen: Optimierte Produktionsprozesse erfordern größere Flächen auf einer Ebene. In die Höhe wachsen nur noch Verwaltungs- oder Bürogebäude. Der Dienstleistungssektor spielt in Solingen aber eine untergeordnete Rolle.
Solinger Wirtschaft
Über Jahrhunderte hinweg hat sich Solingen als Standort für die industrielle Produktion entwickelt. Angefangen hat es mit Mittelalter mit Schwertern, später kamen Säbel dazu, noch später Bajonette, das ist aber Vergangenheit. Heute spielen im traditionsreichsten Wirtschaftszweig der Stadt Messer, Gabel und Schere die Hauptrolle. Daneben haben sich weitere und nicht weniger bekannte Produkte und Marken entwickelt. Heute bringt die Solinger Metallverarbeitung auch Autofelgen, Fahrzeugzubehör oder Maschinenbauprodukte von hier aus auf den Weltmarkt. Nicht weniger bekannt sind hochwertige Herrenkonfektionen und sogar Gummibärchen aus der Klingenstadt. So ist die Bandbreite durchaus größer geworden, doch noch immer gehören rund 90 Prozent der Solinger Unternehmen der Besteckbranche an und bestätigen damit den weltweit bekannten Beinamen der Stadt.
Die Struktur der meisten Betriebe ist mittelständisch mit hohem Bildungsgrad der Beschäftigten und in familiärer Tradition. Ein Pfund, das die Verantwortlichen in Stadtverwaltung und Wirtschaftsförderung immer noch zu schätzen und zu pflegen wissen. Weil der Zuzug von Gewerbebetrieben sich in Grenzen hält und Solingen seit je her aus sich selbst heraus gewachsen ist, gilt es, die Bedingungen für die vorhandenen Unternehmen zu verbessern und ihnen so Argumente gegen eine Verlagerung der Produktion in andere Regionen Deutschlands oder Europas zu liefern. So finden sich in Solingen sowohl jene Unternehmen mit hochmodernen Anlagen zur Produktion von Hochleistungsklingen wie auch die letzten Solinger Schleifer, die im 200 Jahre alten Fachwerkhaus an der Wupper die Wasserkraft zum Antrieb ihrer Schleifsteine nutzen.
Der Wohnstandort
Im Stadtbild fällt der Charakter der alten Industriestadt kaum auf. Solingen gliedert sich ein in eine Region, die sich selbst als „Werkstattregion im Grünen“ bezeichnet. Gemeinsam mit Wuppertal und Remscheid repräsentiert sie rund 700.000 Einwohner. Die ursprünglich Stadt Solingen, die ihre Stadtrechte 1374 verliehen bekam, hatte zwar eine Altstadt, die aber wurde im Krieg vollständig zerstört. Einen historischen Stadtkern sucht man daher vergebens, auch weil die heutige Großstadt nicht von innen nach außen wuchs, sondern aus mehreren kleinstädtischen Siedlungskernen und ländlichen Hofschaften zusammengefasst wurde. Sie verwuchsen entlang der Ausfallstraßen auf ein paar Höhenzügen miteinander. Dazwischen liegen Bachtäler, die bis heute niemals völlig kultiviert wurden und den besonderen, hohen Wohnwert der Stadt ausmachen. „Hätte man mir vor vielen Jahren Solingen als Wohnstandort vorgeschlagen, hätte ich damit nichts anzufangen gewusst“, gibt Wirtschaftsförderer Frank Balkenhol zu. „Für meine fünfköpfige Familie kann ich mir aber heute nichts Besseres vorstellen: Ein ruhiges Wohnumfeld mit vielen Grünflächen und Entspannen und Erholen, und dennoch bin ich innerhalb von 20 Minuten in der Düsseldorfer Altstadt oder mit zehn Minuten mehr Fahrtzeit in der von Köln.“ Geografisch gehört Solingen zum Bergischen Land, kulturell sehen sich die Einwohner als Rheinländer.
Arbeit für Solingen
Aufgrund der seit Jahrzehnten niedrigen Geburtenzahlen zeigt die Kurve der Bevölkerungsentwicklung im bergischen Städtedreieck und damit auch in Solingen nach unten. Dazu kommen der demografische Wandel und die Tatsache, dass auch Zuzug und Migration den Abwärtstrend nicht aufhalten konnten. Bis 2030 wird erwartet, dass die Solinger Bevölkerung um über acht Prozent zurückgeht, der Anteil der erwerbsfähigen Einwohner sogar um 13,1 Prozent – was deutlich über dem NRW-Schnitt von 9,5 Prozent liegen würde.
„Wir werden weniger, älter und bunter“, fasst Oberbürgermeister Norbert Feith die Einwohnersituation der Stadt zusammen. Die Folgen wirken sich nicht nur auf Stadtentwicklung und Sozialpolitik aus, sondern auch auf den Arbeitsmarkt und die Wirtschaft. Schrumpfende Einwohnerzahlen lösen nämlich die Arbeitslosenpro¬blematik nicht – die sich in Solingen mit momentan rund acht Prozent noch nicht dramatisch darstellt – sondern verschärfen den Fachkräftemangel. Der knapper werdende Nachwuchs lässt sich zudem nicht mehr vor Ort ausbilden, sondern wandert ab in attraktivere Metropolen – ein Nachteil der verkehrsgünstig guten Anbindung der Stadt.
Um dies aufzufangen und gemeinsam mit den lokalen Unternehmen Zukunfts-perspektiven zu entwickeln, hat Oberbürgermeister Norbert Feith im September 2013 die Initiative „Arbeit für Solingen“ ins Leben gerufen. Im Zentrum steht eine weit gefächerte Veranstal¬tungsreihe: Angefangen mit einem Informations- und Diskussionsabend des Kom¬munalen Jobcenters über Jobmessen oder Themenangebote wie „Übergang von der Schule in den Beruf“ und „Steigerung der Attraktivität von Unternehmen für Arbeit¬nehmer“ wollen Stadt und Wirtschaftsförderung nicht nur Anregungen geben, son¬dern auch eine Vernetzungsplattform bieten. So soll mittelfristig die Erwerbsbe¬tei¬li¬gung von jüngeren wie älteren Menschen, Frauen und Migranten erhöht werden.
Mit in das Konzept eingebunden ist die bereits etablierte Berufsinformationsmesse „FORUM:BERUF“, die regelmäßig im Herbst angeboten wird. In Zusammenarbeit von Stadt, Arbeitsagentur, Wirtschaftsjunioren haben Schüler die Möglichkeit, sich über Arbeitgeber zu informieren. Diese wiederum präsentieren sich als attraktive Betriebe und können potenzielle Auszubildende kennen lernen.
Über die Bergische Entwicklungsagentur, Gemeinschaftsprojekt mit den Städten Remscheid und Wuppertal, werden Ideen für die Beteiligung an EU-weiten Förder¬pro¬grammen entwickelt. Hierbei spielt das Thema „Fachkräftesicherung“ für die gesamte Region eine bedeutende Rolle.
Stadtentwicklung
Trotz jahrzehntelanger angespannter Haushaltslage wurden immer wieder wichtige Projekte in Angriff genommen. Dazu gehören die Förderung von Forschung und Wis¬senschaft im Forum Produktdesign oder die Kooperation im Städtedreieck mit Rem¬¬scheid und Wuppertal ebenso wie die städtebauliche Erneuerung der In¬nen¬stadt oder der Stadtteile. Sichtbare Spuren im Stadtbild haben die Projekte des Landeswettbewerbs „Regionale 2006“ hinterlassen: vom Umbau eines aufgegebenen und verwahrlosten Güterbahnhofgeländes zum innerstädtischen Gewerbegebiet „Süd¬park“ über die Erneuerung des Zentralen Busbahnhofs am „Graf-Wilhelm-Platz“ bis zur Umgestaltung des Hauptbahnhofvorplatzes im Stadtteil Ohligs.
Der Erneuerungsprozess der Innenstadt setzt sich 2014 unter der Überschrift „So¬zi¬ale Stadt–Nordstadt“ fort. „Nach der Erneuerung des Mühlenplatzes im Jahr 2001 und zwei Jahre später der anschließenden Plätze Graf-Wilhelm-Platz und Neumarkt geht es nun darum, auch das nördliche Eingangstor zur Solinger Innenstadt zu stärken. Das schließt auch die vielbefahrene Konrad-Adenauer-Straße ein.“, sagt Oberbürgermeister Norbert Feith. „Wer Nein sagt zu Leerständen und Downtrading, muss Ja sagen zu der geplanten Aufwertung.“ Das Land trage 80 Prozent der Kosten und ermögliche Solingen überhaupt erst, ein derart ambitioniertes Projekt zu realisieren. Teil des Gesamtprojektes ist auch die Umgestaltung des Thea¬terum¬fel¬des. Es geht um barrierefreie Zugänge, die Neugestaltung der Außenanlagen und ei¬ne Beleuchtung und Wiederbelebung des Theater-Innenhofes. Dabei hat die Stadt¬verwaltung von Anfang an – und der gesamte Prozess der Ideenentwicklung begann bereits vor zehn Jahren – stark auf die Bürgerbeteiligung gesetzt. Neben den politischen Gremien wurden in mehreren Workshops der Ideen und Meinungen der Anwohner abgefragt und in die Konzepte mit eingebunden.
So sind es insgesamt die Kontraste, die Solingen als Stadt prägen: Das Neben-ein¬ander von Wohnen und Industrie, von Hi-Tech und „Hucke“ (altes Fachwerkhaus), von Gewerbe und grünen Flächen (mit übrigens 355 Kilometern Wanderwegen um und durch die Stadt), von Bergischem Land und Rheinschiene. Und nicht zuletzt der Spagat zwischen finanzieller Schieflage und zukunftsorientierter Entwicklung.
DM: Herr Feith, Solingen hat ein beeindruckendes Rathaus. Können Sie uns etwas zur Geschichte des Gebäudes erzählen?
Norbert Feith: Das ist schnell erzählt. Der historische Teil, das Alte Rathaus, war einmal ein Fabrikgebäude des Waffen- und Fahrradproduzenten Weyersberg, Kirschbaum und Companie. Bis heute trägt das Haus den Spitznamen WKC. Interessant ist, warum wir erst im Jahr 2009 so umfangreich modern angebaut und erweitert haben. Seit der Gebietsreform 1929 hat es lange gedauert, die Verwaltung zu zentralisieren. Jeder Stadtteil hatte sein eigenes Rathaus; nur keines, das groß genug gewesen wäre, die Verwaltung einer Großstadt zu beherbergen. Heute haben wir noch drei Rathaus-Standorte im Solinger Stadtgebiet, der größte ist dieser hier an der Cronenberger Straße.
DM: Was macht Ihrer Ansicht nach die Stadt Solingen aus?
Norbert Feith: Ich würde Solingen als kleine Großstadt voller spannender Kontraste beschreiben. Von der Historie und ihrer Prägung her ist sie immer noch eine Industriestadt, die trotzdem als Stadt im Grünen bezeichnet werden darf. Ich bin selbst zugezogen und genieße in Solingen die kurzen Wege. Im Übrigen ist Solingen die einzige Stadt, deren Namen markenrechtlich geschützt ist.
DM: Wenn wir über Solingen sprechen, kommen wir an der Identifikation als „Klingenstadt“ nicht vorbei. Aber hier werden doch nicht nur Messer hergestellt?
Norbert Feith: Selbstverständlich nicht, auch wenn die Geschichte der Messer- oder sagen wir besser, Besteckproduktion, immer noch große Bedeutung für die Stadt hat und ein Aushängeschild für Solingen ist. Auf der Basis der historischen Metall¬verarbeitung haben sich große Kompetenzen in der Metallbearbeitung allgemein ausgebildet und in der Produktinnovation. In der traditionellen Tüftlermentalität liegt auch heute noch eine große Stärke der Unternehmen unserer Stadt. Wir haben hier eine hohe Patentdichte. Entsprechend waren unsere Bemühungen in der Vergangenheit auch darauf ausgerichtet, eine engere Anbindung an Wissenschaft und Forschung herzustellen. Die Produkte unserer Unternehmen definieren sich nicht über einen billigen Preis, sondern über Qualität und Innovation. Aber um auf ihre Frage zurückzukommen: Firmen wie Haribo oder der Versandhandel Walbusch mit einer bereits 75-jährigen Tradition in der Stadt zeigen, dass auch Solingen vielfältig aufgestellt ist.
DM: Sie erwähnten gerade Wissenschaft und Forschung. Können Sie das konkretisieren?
Norbert Feith: Als Stadt, in deren Umland bereits etliche Universitäten und Fachhochschulen angesiedelt sind, wäre es utopisch und nicht sinnvoll, sich als weiterer Hochschulstandort positionieren zu wollen. Und doch werden wir durch Kooperationen und institutionelle Einrichtungen zu einer Universitätsstadt eigener Art. Im modern umgebauten „Alten Hauptbahnhof“ ist schon länger das Bergische Institut für Produktentwicklung und Innovationsmanagement beheimatet, das eng mit den Unternehmen der Region kooperiert. Das Institut wird jetzt durch Ansiedlung einer Stiftungsprofessur für Maschinenbau und Neue Fertigungstechnologien aufgewertet.
DM: Innovativ will sich auch die Stadtverwaltung selbst zeigen. Ein Beispiel dafür dürfte die im September vergangenen Jahres gestartete Initiative „Arbeit für Solingen“ sein. Was genau hat es damit auf sich?
Norbert Feith: Der demografische Wandel geht natürlich auch an Solingen nicht vorüber. Schon jetzt ist es für viele Unternehmen schwer, Auszubildende und Fachkräfte in ausreichender Anzahl zu finden. Das Problem wird allen Prognosen zufolge in den kommenden Jahren nicht einfacher. Dem wollen wir mit dieser Initiative entgegen wirken. Wir müssen jungen Menschen eine Perspektive bieten in unserer Stadt. Ich selbst kann in diesem Prozess nur moderieren, auch wenn ich selbst Arbeitgeber bin. Wir wollen mit „Arbeit für Solingen“ vor allem vernetzen, also Arbeit Suchende und Arbeit Bietende zusammenbringen. Seit 2012 verfügen wir über ein eigenes Jobcenter, das dabei gute Unterstützung leisten kann. Außerdem ist die Wirtschaftsförderung beratend mit im Boot. Es geht zum Beispiel darum, Unternehmen attraktiv zu machen für Azubis, Frauenerwerbsbeteiligung und Migration zu berücksichtigen. Beim Stichwort Migration gilt es auch zu berücksichtigen, dass da nicht Kurzzeit-Arbeiter kommen, die wieder gehen. Sie sind langfristig zu integrieren. Ich denke da zum Beispiel an spanische Pflegekräfte, um die wir uns aktuell stark bemühen.
DM: Das sind viele Aufgaben, für die durchaus auch finanzielle Anstrengungen vonnöten sind. Aber Solingen befindet sich seit 20 Jahren im Haushaltssicherungskonzept, hat also deutlich weniger Spielraum als zum Beispiel der große Nachbar Düsseldorf. Solingen steht damit zwar nicht allein in NRW, aber wo sehen Sie die konkreten Sparaufgaben?
Norbert Feith: Wie Sie richtig sagen ist das für uns keine neue Situation. Entsprechend stellen wir uns ihr seit vielen Jahren und ich sehe uns auf einem guten Weg. Die Wirtschaftskrise hat uns zwischen 2009 und 2011 zwar ein Stück zurückgeworfen – so konnten wir den kommunalen Eigenanteil staatlicher Förderprogramme nicht mehr stemmen und mussten Stadtentwicklungsprojekte auf Eis legen - inzwischen bewegen wir uns aber wieder im Rahmen eines genehmigten Haushaltssicherungskonzepts. Die Beteiligung an Förderprogrammen ist wieder möglich. Unser Konsolidierungsplan sieht 45 Millionen Euro dauerhafter, struktureller Einsparungen vor. Das bereitet niemandem Freude: Wir haben beispielsweise das Traditionsstadion des Fußballvereins Union Solingen aufgegeben. Die Sportstätte hatte nicht mehr die Bedeutung vergangener Jahre und war in schlechtem Zustand. Es gibt inzwischen einen Investor, der auf diesem Gelände eine neue Siedlung bauen möchte. Auch die Schließung von Schwimmbädern tut weh, aber wir haben hier, meine ich, einen verträglichen Weg gefunden. In Summe hatten und haben wir über 200 Einzelsparmaßnahmen zu bewältigen, darunter auch Personaleinsparungen in der Verwaltung. Hier sind über 100 Stellen weggefallen.
DM: Welche stadtplanerischen Projekte konnten Sie denn trotz angespannter Haushaltslage umsetzen und welche sehen Sie noch vor sich?
Norbert Feith: Ein wichtiger Aspekt ist die Weiterentwicklung der Einkaufsstadt. Das macht man als Stadt nicht alleine, dafür braucht man Investoren. Seit November 2013 hat Solingen wieder ein Top-Einkaufszentrum. Als Karstadt sich aus Solingen zurückzog, waren die Sorgen große. Inzwischen ist das Hofgarten-Center, ein 100-Millionen-Euro Projekt, ein neuer Publikumsmagnet. Erstkontakte konnten wir bei der Fachmesse Exporeal in München knüpfen; dort sind wir mit einem Gemeinschaftsstand des Bergischen Städtedreiecks vertreten. An die Stelle des ehemaligen Großkaufhauses und eines Hotelhochhauses ist ein modernes Center des gehobenen Standards getreten. Die damalige Verkaufsfläche wurde fast verdoppelt auf heute 18.000 Quadratmeter. Auch dieses Projekt kann aber nicht separat betrachtet werden, es ist Bestandteil des permanenten Prozesses der Stadtentwicklung, der Ende der 1990er Jahre mit dem Bau der Clemens-Galerien und dem Rückbau einer Durchgangsstraße begonnen hat. Weitere Projekte haben sich angeschlossen, vor allem die Regionale 2006 hat das Gesicht der Innenstadt vollkommen verändert. In diesem Rahmen wurde auch der Bahnhof Solingen-Ohligs zum Hauptbahnhof aufgewertet; was für den Erhalt des Anschlusses an ICE-Verbindungen wichtig war. So haben wir dauerhaft eine Anbindung an die Rheinschiene, war für Solingen essentiell wichtig ist. Der alte Hauptbahnhof in Solingen-Mitte und die Fläche des Güterbahnhofs wurden saniert und weiterentwickelt zum Südpark einer ganz besonderen Mischung aus Künstlergalerie, Gewerbepark und Veranstaltungsort. Was in 2014 ansteht, ist der Umbau der Nordstadt und der Konrad-Adenauer-Straße. Mit großer Bürgerbeteiligung wurden und werden diese Vorhaben diskutiert. Ein von einer Bundesstraße lange in zwei Hälften getrennter Stadtteil soll wieder besser verbunden werden, die Straße selbst einen boulevardähnlichen Charakter bekommen. Auch das städtische Theater und Konzerthaus soll städtebaulich aufgewertet werden.
DM: Eine abschließende Frage: Wo sehen Sie Solingen in zehn Jahren?
Norbert Feith: Wir haben nicht den Anspruch, uns komplett verändern zu wollen. Insofern werden wir bis dahin den begonnenen Weg erfolgreich weiter gehen. Solingen wird seinen Charakter als Stadt der kurzen Wege bewahrt haben, mit hoher Lebensqualität und wunderschönen Wohnlagen. Wohnqualität wird in Zukunft auch daran gemessen, ob schnelles Internet verfügbar ist. Solingen wird dabei sein. Ganz aktuell haben wir zu Anfang dieses Jahres die Zusage der Telekom bekommen, dass das Unternehmen seine Breitbandverbindungen in der Klingenstadt bis 2015 ausbaut. Im Bezug auf neue Gewerbeflächen muss es uns gelingen, die Balance zwischen dem unvermeidlichen Eingriff in die Natur und der notwendigen Schaffung von Arbeitsplätzen zu wahren. Wir haben Entwicklungsperspektiven für die Unternehmen der Stadt geschaffen und damit eine wichtige Grundlage für Arbeit und Einkommen unserer Bürger gelegt. Gesellschaftspolitisch wird sich auszahlen, dass wir rechtzeitig in Bildung und Familie investiert haben. Schon jetzt haben wir mit einer Quote von knapp 35 Prozent die beste U3-Betreuung im Bergischen Land. Darauf gilt es aufzubauen. Die Solinger Vereinskultur wird so lebendig sein wie heute. Neben einer Vielzahl von Sportvereinen ist Solingen nämlich auch eine „klingende Stadt“, wir haben eine lange Tradition von Männergesangsvereinen. Das wird nicht untergehen.
Zusammengefasst sind die wichtigsten Herausforderungen bis dahin: dem demografischen Wandel zu begegnen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern und ein gesundes gesellschaftliches Umfeld zu bewahren. Und ehe ich es vergesse: Integration wird kein Thema mehr sein. Weil sie selbstverständlich geworden ist in einer Stadt, in der schon heute jeder Dritte einen sogenannten Migrationshintergrund hat. Auch die Vielfalt der Kulturen kann den Charme einer Großstadt ausmachen. Das machen Städte wie Berlin und Köln schon seit Jahren vor und für Solingen gilt es auch.
DM: Solingen ist mittendrin: Zwischen Düsseldorf, Köln und dem Bergischen Land. Welche Beziehungen pflegen sie zu den jeweiligen Städten beziehungsweise Regionen?
Frank Balkenhol: Solingen hat als typischer Auspendler-Standort sehr starke Beziehungen mit den umliegenden Städten. Insbesondere Düsseldorf, aber auch Köln zeichnen sich dadurch aus, dass Solinger dort nicht nur Arbeiten, sondern auch die sonstigen Einrichtungen und Angebote nutzen. Viele junge Paare finden zudem, sofern sie ihren Arbeitsplatz in der Umgebung erreichen können, den Weg nach Solingen. Die Beziehungen zu Wuppertal und Remscheid ergeben sich schon aus der Nähe und der Ähnlichkeit der Städte.
DM: Ist dann die Kooperation im Städtedreieck mit Wuppertal und Remscheid nicht kontraproduktiv, wenn es um die Positionierung als Wohnstandort geht?
Frank Balkenhol: Das eher nicht. Wir konkurrieren da eher mit den Kommunen zwischen uns und Düsseldorf, also Haan, Mettmann, Hilden, Langenfeld und Monheim.
DM: Kommen wir zu Ihrem eigentlichen Aufgabenfeld. Wie ist die Wirtschaftsförderung in Solingen organsiert und was sind ihre Aufgaben?
Frank Balkenhol: Wirtschaftsförderung ist generell eine freiwillige Aufgabe der Kommunen. Wir in Solingen haben sie in einer GmbH organisiert, die mit etwa 400.000 m² Gewerbeflächen in ihrem Eigentum ausgestattet ist. Wir sind kostenfreier Dienstleister für die rd. 9.000 Unternehmen mit über 45.000 Beschäftigten in Solingen. Wir betreuen die Unternehmen in allen Phasen ihrer Aktivitäten. Die Wirtschaftsförderung und das Gründer- und Technologiezentrum haben insgesamt etwa 15 Mitarbeiter.
DM: Wie gelingt es Ihnen, neben Produktion und Vertrieb von Besteckwaren, andere Branchen in die Stadt zu locken?
Frank Balkenhol: Die Klingenstadt Solingen war immer ein Standort mit einer hohen Metallbearbeitungskompetenz. Auch wenn die Schneidwarenindustrie immer einen Schwerpunkt hatte wurden hier auch andere Produkte bearbeitet und entwickelt. Denken sie nur an die Knirps-Schirme, die Firma Krups und viele andere.
Die Globalisierung hat aber auch vor Solingen nicht Halt gemacht und so ist das Angebot heute noch diversifizierter geworden. Einen großen Teil nehmen heute die Themen Design und Formgebung ein als Dienstleister für die produzierenden Gewerbe. Außerdem hat sich hier ein Schwerpunkt der Galvanoindustrie, also der Oberflächenverarbeitung, ausgebildet. Die Solinger Industrie lebt nicht vom Zuzug von außen, sondern aus sich selbst heraus. Die familiengeführten Unternehmen sind unser Wachstumsmotor, das zeigt sich an vielen Stellen. Hier besteht eine enge Verbindung zur Stadt, eine tiefe Verwurzelung.
Insofern haben wir selbst gar nicht das ernste Bestreben, viele andere Betriebe anzulocken und uns damit auch einer hohen Fluktuation auszusetzen. Wir stärken in erster Linie die Bestandsfirmen und unterstützen sie durch flankierende Maßnahmen.
DM: Sehen Sie das denn als Nachteil an?
Frank Balkenhol: Nein, eine klassische Industriestadt zu sein ist eine Stärke. Die produzierende Industrie ist relativ konjunkturresistent, weil sich ihre Standorte nicht mal eben so verlagern lassen. Dank Kurzarbeit musste kaum ein Unternehmen in der Wirtschaftskrise Insolvenz anmelden. Das ist ebenfalls ein Vorzug familiengeführter Firmen. Die starke Exportorientierung sorgt zudem dafür, dass die Solinger Firmen eine stabile Situation vorfinden, was sich auch positiv auf die Arbeitslosenquote auswirkt, die zurzeit bei knapp neun Prozent liegt.
DM: Mit dem Tourismus gibt es aber trotzdem einen Bereich, auf den Sie zuletzt einen Fokus gelegt haben.
Frank Balkenhol: Wir haben, damit es Sinn macht, die Tourismus-Vermarktung auf die regionale Ebene verlagert und die Bergische Entwicklungsagentur damit beauftragt. Ein Schwerpunkt für das Bergische Städtedreieck ist selbstverständlich der Bereich Industriekultur in Solingen, als Leuchttürme sicherlich das Klingenmuseum und das Industriemuseum. Mit Schloss Burg, dem Müngstener Brückenpark mit der höchsten Eisenbahnbrücke Deutschlands sowie dem Kunstmuseum Solingen, mit dem Schwerpunkt der verfemten Kunst, haben wir attraktive, kulturelle und touristische Anlaufpunkte. Zur Attraktivierung und Verlängerung der Aufenthaltsdauer ergänzen wir diese mit einem Werksverkaufsangebot von mehr als 30 Firmen, welche über das Stadtgebiet verteilt sind. Neben den Schneidwaren, sind auch Firmen, wie Haribo, der Bekleidungshersteller Walbusch attraktive Anlaufziele. Davon profitieren alle, der Einzelhandel, die touristischen Einrichtungen aber auch unsere Stadt- und Stadteilzentren.
DM: Ein gutes Stichwort: Die Stärkung des Stadtzentrums spielte in den vergangenen Jahren auch eine große Rolle. Aber kommen sich die in fußläufiger Entfernung liegenden Einkaufszentren „Clemensgalerie“ und „Hofgartencenter“ da nicht in die Quere?
Frank Balkenhol: Der Einzelhandel wird sich in größeren Städten auch in Zukunft auf engeren Raum konzentrieren müssen. Die beiden angesprochenen Center sollen sich ergänzen, aber die wirtschaftlichen Konzepte sind dabei im Wesentlichen den Investoren überlassen. Diese müssen mit ihrem Angebot attraktiv sein, weil sie die Kaufkraft aus dem Umland anziehen wollen um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Autor: Muelders -- 02.11.2018; 21:32:28 Uhr
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