INTERVIEW RENÈ BAUDE
Das Trainingspensum der Sportinternate erreichen
René Baude, Trainer der Frauen-Reserve und weiblichen A-Jugend des ATV, hat eine Vision für den Handball-Standort Aldekerk.
ALDEKERK Seit dem Sommer vergangenen Jahres ist der Aldekerker TV eines von insgesamt zehn Landesleistungszentren des LSB NRW und steht damit in einer Reihe mit Vereinen wie Borussia Dortmund, TuSEM Essen, VfL Gummersbach oder Bayer Leverkusen. Doch nach Ansicht des sportlichen Leiters René Baude ist das nur der erste Schritt. Stefan Mülders sprach mit dem 43-Jährigen über seine Ideen und Ziele.
Herr Baude, der ATV ist seit rund einem halben Jahr als Landesleistungsstützpunkt Teil des Programm „Leistungssport 2020 – Förderung von Eliten und Nachwuchs in NRW“. Was bedeutet das?
BAUDE Landesleistungsstützpunkte sind vom LSB NRW und dem Sportministerium NRW gemeinsam anerkannte Trainingseinrichtungen der Landesfachverbände, in denen ein qualitativ hochwertiges vereinsübergreifendes Training für Landeskader im Einzugsgebiet eines leistungsstarken Vereins regelmäßig und dauerhaft stattfindet. Sie sind Bestandteil des Netzwerkes der Förderung im Leistungssport von der Vereins- bis zur Bundesebene.
Welche Aufgabe haben diese Stützpunkte?
BAUDE Vor dem Hintergrund neuer und größer werdender Herausforderungen im Leistungssport müssen wir in Deutschland neue Wege zur Förderung des Nachwuchsleistungssports beschreiten. In den Stützpunkten kümmern sich A-Lizenz-Trainer um eine qualifizierte Ausbildung der Nachwuchstalente. Die Konzepte für den Spitzensport werden im Zusammenwirken von LSB, Sportfachverbänden, Landesregierung, Kommunen, Wissenschaft und Wirtschaft abgestimmt. Ziel ist, sich auf hoffnungsvolle Talente zu konzentrieren.
Sie sind sportlicher Leiter des Stützpunktes. Welche Qualifikation bringen ausgerechnet Sie dafür mit?
BAUDE Ich habe 27 Jahre Erfahrung als Trainer, meine A-Lizenz habe ich vor 13 Jahren gemacht. Ich konnte in dieser Zeit zahlreiche Damen- und Jugendteams in hohen Ligen betreuen. Neben meiner Tätigkeit beim ATV, beim HVN und WHV bin ich Teil des Trainerpools und Botschafter von CommEvent Management, das Unternehmen hinter handball-camp.de und den entsprechenden Angeboten. Dafür richte ich Handball-Trainingscamps für neun- bis 14-jährige Jugendliche aus.
Wie sieht die Arbeit in Aldekerk konkret aus?
BAUDE Zunächst einmal finden wir mit der neuen Sporthalle und dem von da aus fußläufig erreichbaren, kooperierenden Fitnessstudio „Fitnesspunkt“ ideale Voraussetzungen. Unsere vom Westdeutschen Handballverband und dem LSB finanzierten Trainer werden durch das sportlich versierte Team des Studios im Bedarfsfall perfekt ergänzt. Wir haben hier mit drei Talentsichtungsgruppen in der Grundschule und Gesamtschule sowie im Gymnasium Mülhausen in Grefrath begonnen. In allen drei Schulen betreuen wir eine Handball-AG für Schüler, die noch nicht in einem Verein spielen sollten. In den weiterführenden Schulen haben wir in den fünften Klassen begonnen.
Das allein macht ja noch keine Handballtalente. Wie soll es denn damit weiter gehen?
BAUDE Ziel ist, in der siebten Klasse eine Sportklasse aus den talentiertesten Jugendlichen zu bilden, deren Stundenplan neben dem normalen Sportunterricht drei Stunden Handball pro Woche vorsieht. Wenn diese dann noch das normale Vereinstraining mitmachen und in die HVN-Gruppen integriert sind, kommen wir an die sieben bis acht Trainingseinheiten pro Woche heran, die Sportinternate wie in Dortmund bieten.
Die Talente spielen in der Regel doch in unterschiedlichen Vereinen. Ist es da überhaupt möglich, ein konkurrenzfähiges „Regionalteam“ zu bilden?
BAUDE Für das leistungsorientierte Training im Jugendbereich müssen die Vereine in der Region in Zukunft über die eigene Kirchturmspitze hinaus denken und arbeiten. Darum sind die Förderprogramm dazu ja auch auf Landesebene angesiedelt. Qualitativ hochwertige Spielerinnen und Spieler werden weniger. Statt sich diese gegenseitig abzuwerben, sollte man hier zusammenarbeiten, um so ein deutschlandweit konkurrenzfähiges Leistungsniveau zu halten. Dafür ist der Leistungsstützpunkt in Aldekerk eine gute Voraussetzung. Hier wie im HVN-Auswahltraining geht es darum, die beste Auswahl und beste Platzierung im deutschlandweiten Vergleich aufzustellen. Es gilt, im Mannschaftsgefüge zu trainieren und nicht nur ausschließlich für den Erfolg von Einzelspielerinnen. Auch hier müssen mittelfristig gemeinsame Wege gegangen werden.
Architekt für erfolgreichen Handball-Nachwuchs
In Vereinen mit Leistungsorientierung fühlt sich Handball-Trainer René Baude zuhause. In die Jugendförderung beim ATV bringt er seine Erfahrung aus Dortmund und der eigenen Jugendzeit ein.
VON STEFAN MÜLDERS
ALDEKERK Es herrscht reges Treiben in der neuen Sporthalle in Aldekerk am Rahmer Kirchweg. Während sich das Trainerteam um das Athletiktraining weiblichen Jugend kümmert, baut Coach René Baude schon mal die Hilfsmittel für die nächsten Einheiten vor. Schon bevor der 43-Jährige nach Aldekerk kam, um sich hier intensiv um den weiblichen Nachwuchs und den Unterbau der Drittligamannschaft zu kümmern, war er in der Region gut bekannt. Dazu haben zahlreiche Trainerstationen und vor allem seine Rolle als HVN-Auswahltrainer beigetragen, die er seit inzwischen 15 Jahren ausfüllt.
„Ich habe meine Trainerlaufbahn schon früh begonnen und bin bisher immer im Damenbereich geblieben“, sagt René Baude. „Dabei war ich immer für den Übergang von der Jugend in den Leistungsbereich verantwortlich, habe also zeitgleich den Nachwuchs und die Damenteams eines Vereins betreut.“ Seine erste Übungsleiterlizenz erwarb der gebürtige Thüringer mit 15 Jahren, absolvierte 2006 erfolgreich die A-Lizenz. Fast zeitgleich mit dem Einstieg in die Straelener A-Jugend wurde er 1992 Co-Trainer der Oberliga-Damen vom TV Lobberich. Knappe zwei Jahre später übernahm er das Team als Cheftrainer. Es folgten zehn Jahre Regionalliga mit dem VT Kempen und die zweite Liga beim TV Beyeröhde. Nach dem Abstieg startete Baude den Wiederaufbau dort mit dem Nachwuchsteam. „Mit der Geburt meines ersten Sohnes bin ich dann aber zurückgegangen zu Lobberich und habe mit der Mannschaft den Aufstieg in die dritte Liga geschafft.“ Die Strecke in den Wuppertaler Osten war einfach zu weit, der frisch gebackene Vater hätte zu viel von seinem eigenen Nachwuchs verpasst. Aber einige Zeit später nahm er doch noch mal weitere Fahrtstrecken auf sich. Ab 2014 war er für das Aufstiegsziel von Solingen-Gräfrath verantwortlich. Aber auch im zweiten Anlauf klappte der Sprung in die zweite Liga nicht. „Wir hatten viel Verletzungspech und konnten die personellen Schwierigkeiten nicht kompensieren.“ Als das Engagement seitens des Vereins beendet wurde, ging es für René Baude nach Dortmund zur dortigen Borussia.
„Das war noch mal eine einschneidende Erfahrung für meine Trainerkarriere“, erinnert er sich an die Saison 2016/2017. „Ich hatte zuvor noch nie eine derart starke Leistungsorientierung von der Vorstandsebene bis zu den Übungsleitern erlebt. Über alle Ebenen hinweg wurde die Talent- und Nachwuchsförderung bis in die letzte Pore hinein gelebt.“ In diesem Jahre konnte Baude auch organisatorisch in den Fußballbereich Einblick gewinnen. Es war nach seinen Angaben eine richtig gute Zeit, aber eine Festanstellung als Trainer war dann doch nicht möglich. „Sportlich fühlte ich mich dort absolut zuhause. Der Reiseaufwand war aber für ein nebenberufliches Engagement nicht länger machbar.“ Die intensive Erfahrung bei den Gelb-Schwarzen brachte Baude mit nach Aldekerk. Er begann mit der B-Jugend und der zweiten Mannschaft, der Nachwuchs ist inzwischen in das A-Jugend-Alter aufgerückt und wird natürlich von ihm weiter betreut. „Ich habe in der Region nach einem Verein gesucht, der leistungssportlich ausgerichtet ist und wo ich meine Erfahrung mit einbringen konnte. Da schien der ATV genau die richtige Adresse zu sein“, sagt der verheiratete Vater von zwei Kindern, der inzwischen in Waldniel zuhause ist.
Die Zukunft von René Baude ist noch nicht geschrieben. Der Teilzeit-Prokurist beim Sportausstatter Tengo in Grefrath hat noch mehr als 20 Berufsjahre vor sich. Und diese würde er am liebsten im Handball-Trainingsgeschehen verbringen. „Der Fokus soll in der Jugendförderung bleiben, den Nachwuchs für den Leistungsbereich vorbereiten.“ Der Coach dokumentiert akribisch nicht nur Trainingseinheiten, sondern auch die „Folgen“ im nachfolgenden Spiel. So kann er sich jederzeit individuell auf schon mal gesehene Gegner einstellen. „Es gibt kein fertiges Konzept in der Schublade. Jeder Jahrgang ist anders, hat was Besonderes und Individuelles.“
Als Jugendlicher selbst Auswahlspieler
NAME René Baude
GEBOREN 1975 in Suhl/Thüringen
JUGEND Schon als junger Sportler war Baude in das Nachwuchskonzept der DDR integriert und lernte hier das leistungsbezogene Training kennen.
UMZUG Baude kam als 17-Jähriger mit seinen Eltern nach Lobberich und fand beim SV Straelen in der A-Jugend sein neues Zuhause im Westen.
VERLETZUNG Schon nach einem Jahr in der neuen Heimat wurde er durch einen ersten Kreuzbandriss ausgebremst. Die gleiche Verletzung sorgte einige Zeit später dafür, dass er es nicht mehr in die ganz hohen Ligen schaffte. Baude spielte auf Verbandsliga-Niveau in Kaldenkirchen, Lobberich, Süchteln und St. Tönis.
TRAINER Zeitgleich entwickelte er intensiv seine Laufbahn als Trainer weiter, was ihm dann auch wichtiger war, als selbst hoch zu spielen.
Kommentar: Herausforderung Kirchturmdenken
Von Stefan Mülders
Die Ernennung zum Landesleistungsstützpunkt ist für den TV Aldekerk und die gesamte Region sicher ein Gewinn. Dass René Baude als sportliche Leiter gleichzeitig die Trainingsgeschicke beim erfolgreichsten Handballclub im Gelderland mitgestaltet, dürfte für den ATV nicht zum Nachteil sein. Diese Doppelaufgabe, die in Personalunion auch noch gekoppelt ist mit der Organisation und Durchführung deutschlandweiter Nachwuchscamps, bündelt Trainerkompetenz an einem Standort. Denn hinter Baude stehen weitere erfahrene Lizenztrainer und Übungsleiter, die sich um die sportliche Zukunft der jungen Handballer bemühen.
Kritischer hingegen werden die umliegenden Vereine diese Entwicklung beobachten. Zwar strebt René Baude eine stärkere Zusammenarbeit an, damit sich die Qualität des Nachwuchses in der gesamten Region verbessert. Aber das Streben nach einer gemeinsam aufgebauten Konkurrenzfähigkeit im nationalen Vergleich alleine wird das Kirchturmdenken nicht abbauen. So wird genau dieser Punkt die größte Schwierigkeit sein für René Baude als sportlicher Leiter des Leistungsstützpunktes Aldekerk.
Autor: Muelders -- 13.02.2019; 07:45:19 Uhr
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